Bindungs- und bedürfnisorientierte Familienberatung

B.Sc. Psychologin Maxie Ketschau-Repty

Bedürfnisorientierte Erziehung

Da sind die Kinder magisch brav, oder?


Schon als meine Maus grade erst 3 Jahre alt war, war ich (fast) jeden Tag beeindruckt von ihrer Kooperationsbereitschaft. In 95% der Fälle meisterte sie das Kunststück genau zu wissen, wann ich sie wirklich brauche, um dann immer zu kooperieren. Immer.

Ich möchte eine Situation schildern, die ich als enorme Leistung empfinde für eine Dreijährige. 

Wir waren auf Haussuche — es war ein Albtraum. Wir saßen beim Abendbrot als wir erfuhren, dass wir jetzt sofort mit einem anderen Paar um ein Haus losen würden - vor Ort im potenziell neuen Haus. 

Wir schnappten uns das Kind, erklärten die Situation so gut es ging und trugen das kooperierende Kind zum Auto. Nach 10 Minuten Fahrt waren wir da. Die Erwachsenen begrüßten sich höflich, die Maus reihte ihre Autos vor der dort heimischen Spielgarage auf. Die Stimmung war angespannt und unangenehm. Sofort war klar, dass es nur hilft, das Losen hinter sich zu bringen. Wir verloren. Die Situation wurde noch unangenehmer, der Wunsch, sich von dem Paar zu entfernen, welches sichtlich bemüht war, nicht in Freudenschreie auszubrechen, übermächtig. Nach nicht mal 10 Minuten vor Ort ging ich zur Maus, die vertieft spielte und grade schon toll kooperiert hatte und erklärte, dass wir jetzt gehen. Ich brach mitten ins Spiel ein und packte in Windeseile ihre Autos. Nichts geschah in ihrem Tempo, nichts durfte sie mitentscheiden. Ich erinnere mich an verwirrten, leisen Protest. Mir war bewusst, wie doof das alles für sie war, und ich entschuldigte mich wiederholt für unser Verhalten. Sie verstummte prompt. Ich trug sie zum Auto und wir fuhren los. In all der Zeit war kein lautes Wort des Protestes und kein Weinen über ihre Lippen gekommen.

Ich zähle noch mal auf: Essen abbrechen, kein helfen dürfen beim Packen, getragen werden, ins Auto gesetzt werden, angeschnallt werden, wieder getragen werden, keine 10 Minuten spielen, kein helfen dürfen beim Packen, wieder getragen werden, wieder ins Auto gesetzt werden, wieder angeschnallt werden. Ich zähle hier über 10 Hindernisse für eine Zweijährige. Dennoch kooperierte sie. Kooperierte weit über ihre persönlichen Grenzen. Weil sie spüren konnte, wie wichtig es war. Weil sie ihr Leben über gelernt hatte, dass Mama so nicht mit ihr umgeht, wenn nicht etwas ganz arg im Argen liegt.


Natürlich war dies eine sehr besondere Situation, aber noch heute bin ich beeindruckt von ihrer Leistung. Die Magie wirkt aber auch in alltäglichen Situationen. Mit gut 2,5 Jahren fing sie an, im dichten Stadtverkehr Roller zu fahren und zeigte unglaubliche Verantwortung (altersgerechte natürlich). Einkaufen gehen - kein Problem. Spielplatz verlassen - kein Problem. Die Liste geht unendlich weiter. Diese Magie zu wirken kostet allerdings. Sie kostet meine Kraft, meine Zeit und meine Aufmerksamkeit.

Zeit: Habe ich genug Zeit, kann es eine Stunde oder länger dauern, bis wir das Haus verlassen. Maus sucht aus, ob zu Fuß oder anders. Sie sucht aus zu welchem Supermarkt, wenn wir einkaufen. Gehen wir zu Fuß, dauert der Weg zum 5 Minuten entfernten Supermarkt gerne mal 45 Minuten. 

Kraft: Im Supermarkt darf sie aussuchen, ob sie selber einen Wagen schiebt oder mir hilft oder im Wagen sitzt. Auch um Regalreihen laufen ist ok. Sie muss nur schauen, dass es immer im Kreis geht, sodass ich sie sehen kann. Bei einem solchen Einkaufen bin ich permanent gefordert.

Aufmerksamkeit: Musste sie an einem Tag übermäßig viel kooperieren, ist es an mir, darauf zu achten, ihr schnellstmöglich Raum zum Entfalten zu geben. Etwas in ihrem Tempo zu tun, oder besser genau das zu tun, was sie möchte. Wenn das heißt, vor der Apotheke blöde angeguckt zu werden, weil ich 20 oder 30 mal die kleine Treppe nebenan mitgehe, dann ist das so.

Der Grundgedanke bedürfnisorientierter Erziehung ist, das Kinder gut sind und gute Gründe für ihr Verhalten haben. Wenn mein Kind also nicht mehr kooperiert, ist es an mir herauszufinden, was ihr fehlt, um dies wieder tun zu können.